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den Scheidenden bei der Hand, und indem sie, auf die Zehen gehoben, ihm einen treuherzigen
und lebhaften Kuß, doch ohne Zärtlichkeit, auf die Lippen drückte, sagte sie: »Meister! vergiß uns nicht
und komm bald wieder.«
Und so lassen wir unsern Freund unter tausend Gedanken und Empfindungen seine Reise
antreten und zeichnen hier noch zum Schlusse ein Gedicht auf, das Mignon mit großem Ausdruck
einigemal rezitiert hatte und das wir früher mitzuteilen durch den Drang so mancher sonderbaren
Ereignisse verhindert wurden.
Heiß mich nicht reden, heiß mich schweigen,
Denn mein Geheimnis ist mir Pflicht;
Ich möchte dir mein ganzes Innre zeigen,
Allein das Schicksal will es nicht. Zur rechten Zeit vertreibt der Sonne Lauf
Die finstre Nacht, und sie muß sich erhellen,
Der harte Fels schließt seinen Busen auf,
Mißgönnt der Erde nicht die tiefverborgnen Quellen. Ein jeder sucht im Arm des Freundes Ruh,
Dort kann die Brust in Klagen sich ergießen;
Allein ein Schwur drückt mir die Lippen zu,
Und nur ein Gott vermag sie aufzuschließen.
Sechstes Buch
Bekenntnisse einer schönen Seele
Bis in mein achtes Jahr war ich ein ganz gesundes Kind, weiß mich aber von dieser Zeit so wenig
zu erinnern als von dem Tage meiner Geburt. Mit dem Anfange des achten Jahres bekam ich
einen Blutsturz, und in dem Augenblick war meine Seele ganz Empfindung und Gedächtnis. Die
kleinsten Umstände dieses Zufalls stehn mir noch vor Augen, als hätte er sich gestern ereignet.
Während des neunmonatlichen Krankenlagers, das ich mit Geduld aushielt, ward, so wie mich
dünkt, der Grund zu meiner ganzen Denkart gelegt, indem meinem Geiste die ersten Hülfsmittel
gereicht wurden, sich nach seiner eigenen Art zu entwickeln.
Ich litt und liebte, das war die eigentliche Gestalt meines Herzens. In dem heftigsten Husten und
abmattenden Fieber war ich stille wie eine Schnecke, die sich in ihr Haus zieht; sobald ich ein
wenig Luft hatte, wollte ich etwas Angenehmes fühlen, und da mir aller übrige Genuß versagt war,
suchte ich mich durch Augen und Ohren schadlos zu halten. Man brachte mir Puppenwerk und
Bilderbücher, und wer Sitz an meinem Bette haben wollte, mußte mir etwas erzählen.
Von meiner Mutter hörte ich die biblischen Geschichten gern an; der Vater unterhielt mich mit
Gegenständen der Natur. Er besaß ein artiges Kabinett. Davon brachte er gelegentlich eine
Schublade nach der andern herunter, zeigte mir die Dinge und erklärte sie mir nach der Wahrheit.
Getrocknete Pflanzen und Insekten und manche Arten von anatomischen Präparaten,
Menschenhaut, Knochen, Mumien und dergleichen kamen auf das Krankenbette der Kleinen; Vögel
und Tiere, die er auf der Jagd erlegte, wurden mir vorgezeigt, ehe sie nach der Küche gingen; und
damit doch auch der Fürst der Welt eine Stimme in dieser Versammlung behielte, erzählte mir die
Tante Liebesgeschichten und Feenmärchen. Alles ward angenommen, und alles faßte Wurzel. Ich
hatte Stunden, in denen ich mich lebhaft mit dem unsichtbaren Wesen unterhielt; ich weiß noch
einige Verse, die ich der Mutter damals in die Feder diktierte.
Oft erzählte ich dem Vater wieder, was ich von ihm gelernt hatte. Ich nahm nicht leicht eine
Arzenei, ohne zu fragen: »Wo wachsen die Dinge, aus denen sie gemacht ist? wie sehen sie aus?
wie heißen sie?« Aber die Erzählungen meiner Tante waren auch nicht auf einen Stein gefallen. Ich
dachte mich in schöne Kleider und begegnete den allerliebsten Prinzen, die nicht ruhen noch rasten
konnten, bis sie wußten, wer die unbekannte Schöne war. Ein ähnliches Abenteuer mit einem
reizenden kleinen Engel, der in weißem Gewand und goldnen Flügeln sich sehr um mich bemühte,
setzte ich so lange fort, daß meine Einbildungskraft sein Bild fast bis zur Erscheinung erhöhte.
Nach Jahresfrist war ich ziemlich wiederhergestellt; aber es war mir aus der Kindheit nichts
Wildes übriggeblieben. Ich konnte nicht einmal mit Puppen spielen, ich verlangte nach Wesen, die
meine Liebe erwiderten. Hunde, Katzen und Vögel, dergleichen mein Vater von allen Arten ernährte,
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vergnügten mich sehr; aber was hätte ich nicht gegeben, ein Geschöpf zu besitzen, das in einem der
Märchen meiner Tante eine sehr wichtige Rolle spielte. Es war ein Schäfchen, das von einem
Bauermädchen in dem Walde aufgefangen und ernährt worden war, aber in diesem artigen Tiere
stak ein verwünschter Prinz, der sich endlich wieder als schöner Jüngling zeigte und seine Wohltäterin
durch seine Hand belohnte. So ein Schäfchen hätte ich gar zu gerne besessen!
Nun wollte sich aber keines finden, und da alles neben mir so ganz natürlich zuging, mußte mir
nach und nach die Hoffnung auf einen so köstlichen Besitz fast vergehen. Unterdessen tröstete ich
mich, indem ich solche Bücher las, in denen wunderbare Begebenheiten beschrieben wurden.
Unter allen war mir der »Christliche deutsche Herkules« der liebste; die andächtige
Liebesgeschichte war ganz nach meinem Sinne. Begegnete seiner Valiska irgend etwas, und es
begegneten ihr grausame Dinge, so betete er erst, eh er ihr zu Hülfe eilte, und die Gebete standen
ausführlich im Buche. Wie wohl gefiel mir das! Mein Hang zu dem Unsichtbaren, den ich immer auf
eine dunkle Weise fühlte, ward dadurch nur vermehrt; denn ein für allemal sollte Gott auch mein
Vertrauter sein.
Als ich weiter heranwuchs, las ich, der Himmel weiß was, alles durcheinander; aber die »Römische
Oktavia« behielt vor allen den Preis. Die Verfolgungen der ersten Christen, in einen Roman
gekleidet, erregten bei mir das lebhafteste Interesse.
Nun fing die Mutter an, über das stete Lesen zu schmälen; der Vater nahm ihr zuliebe mir einen
Tag die Bücher aus der Hand und gab sie mir den andern wieder. Sie war klug genug zu bemerken,
daß hier nichts auszurichten war, und drang nur darauf, daß auch die Bibel ebenso fleißig gelesen
wurde. Auch dazu ließ ich mich nicht treiben, und ich las die heiligen Bücher mit vielem Anteil. Dabei [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]

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